Was ist neu seit dem letzten Kongress vor 2 Jahren (2018) und was kann man von den nächsten 2 Jahren erwarten?
Nach einem Vortrag von Prof. Yannick Allanore, Descartes Universität Paris, zum 6. Welt-Sklerodermie-Kongreß, übersetzt und zusammengefaßt von Mitgliedern der Scleroderma Liga e.V., 2020
- Mehr als 3.000 Artikel über Sklerodermie wurden veröffentlicht. Dies zeigt eine große wissenschaftliche Aktivität.
- Bei der Behandlung muss man viele Aspekte (nicht nur körperliche) beachten. Aus dem heutigen Zustand und der Prognose kann man Ziele ableiten, aus diesen leitet sich die Behandlung ab und das regelmäßige Monitoring.
- Aktuelle Daten zeigen, dass die Gene wichtig sind. Sklerodermie basiert auf einer Interaktion der Gene mit der Umwelt.
- Die Gene können uns helfen, frühzeitig Gruppen zu identifizieren, bei denen ein schwererer Verlauf zu erwarten ist.
- Gene in unterschiedlichen Blutzellen haben einen unterschiedlichen „signature score“ in frühen oder späten Phasen der Krankheit. Dies kann uns Hinweise auf die richtige Medikamentierung geben.
- Man kann genetische Ausprägungen gruppieren nach klinischen Variablen (z.B. Auftreten von Raynaud Syndrom) und Korrelationen finden.

Auch die Art der Autoantikörper kann wichtige Hinweise darauf geben, wie man Patienten genauer klassifizieren und gezielter behandeln könnte. Die folgenden Diagramme zeigen, dass z.B. Patienten mit Antikörpern, die speziell für die limitierende oder diffuse Form charakteristisch sind, eine höhere Wahrscheinlichkeit für interstitielle Lungenerkrankung haben. Und zwar unabhängig von ihrer Hautbeteiligung.
Das folgende Schaubild zeigt eine Übersicht über die Beziehung zwischen der Gefäßbiologie, der Immunantwort und der Entstehung von Fibrosen – und an welchen Stellen verschiedene Medikamente ansetzen.

- Es werden unterschiedliche Arten von Studien aktuell durchgeführt, z.B. randomisierte / nicht randomisierte Studien mit Kontrollgruppe etc. Ziel dieser Studien ist es z.B., die Wirksamkeit von Medikamenten oder Kombinationen von Medikamenten zu testen.
- Aktuelle Studien zeigen z.B. dass man bei Lungenhochdruck einen deutlich verstärkten Effekt hat, wenn man zwei Medikamente (Tadalafil und ambrisentan?) kombiniert.
- Wenn man ein Medikament mit einer Kontrollgruppe vergleicht, die ein Placebo erhält, prüft man, ob der Unterschied in der Wirkung statistisch signifikant ist. Nur dann wird das Medikament weiterentwickelt und kommt auf den Markt. Bei Abatacept, welches für andere Anwendungen schon auf dem Markt ist, zeigt sich allerdings für die Sklerodermie kein sehr starker Effekt. Es ist unsicher, ob dies für die Zulassung bei Sklerodermie weiterentwickelt wird.
- Als sehr vielversprechend werden aber die Daten zu Lenabasum bewertet (Spiera et al. Arthritis Rheumatol. 2020 April 26, online ahead of print). Dies ist ein „agonist to the cannabinoid receptor type 2 (CB2)“. Dieses Medikament geht jetzt in Phase 3.
- In Bezug auf die Stammzelltransplantation als Behandlungsmethode sind randomisierte Studien schwer möglich. Aber man kann zeigen, wie sich z.B. Alter und Geschlecht auf die Erfolgswahrscheinlichkeit auswirken. Auch dies hilft dabei, Risikofaktoren zu identifizieren und besser zu entscheiden, wem man diese Behandlung anbietet.
- Außerdem gibt es eine Studie („observational study“, nicht randomisiert) zu Anti-CD 20 rituximab. Dies scheint wirksam zu sein bzgl. der Hautbeteiligung, aber nicht für die Lungenbeteiligung. Dies muss aber weiter untersucht werden.
- Eine Kombination aus gefäßerweiternden Medikamente (Vasodilators) und gering dosiertem Aspirin kann bestimmte Arten von Symptomen reduzieren.
- Nintedanib ist wirksam bei interstitieller Lungenbeteiligung. Ist in vielen Ländern jetzt schon auf dem Markt.
- Zusammenfassung: Man kann durch aktuelle Forschungsaktivitäten Risikofaktoren besser einschätzen, Patienten besser behandeln, auch Kombinationen von Medikamenten werden in ihrer Wirksamkeit besser verstanden und ein zusätzliches Medikament hat den Markt erreicht und kann zur Behandlung von Sklerodermie eingesetzt werden. Außerdem gibt es viele laufende Studien, von denen im nächsten Jahr Ergebnisse zu erwarten sind.
Was lernen wir aus der Forschung?
Nach einem Vortrag von Prof. Chris Denton, University College London, zum 6. Welt-Sklerodermie-Kongreß, übersetzt und zusammengefaßt von Mitgliedern der Scleroderma Liga e.V., 2020
Fragen von Patienten sind häufig: Warum / Wodurch habe ich Sklerodermie?
- Die meisten Patienten sind 50-60 Jahre alt und weiblich. Bei Männern ist die Krankheit seltener, aber der Verlauf oft schwerwiegender.
- Es gibt eine genetische Komponente (HLA haplotype, immune system, extracellular matrix, cardiovascular, sex, ethnicity). Aber irgendetwas muss die Krankheit starten. Trigger sind z.B. Chemikalien, Schwermetalle, Lösungsmittel, Silica, Vinylchlorid, Narkosemittel, Dysbiose (Ungleichgewicht der Darmflora), Infektionen oder Verletzungen. Auch (ggf. überwundener) Krebs kann ein Auslöser für Sklerodermie sein.
- Eine Genanalyse kann zeigen, ob man Gene hat, die eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit für Sklerodermie haben. Diese können auch für weitere Krankheiten relevant sein. Die Gene zeigen auch, ob man eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Organbeteiligungen, z.B. renale Krise, hat.


Symptome und Medikamente:
- Der Fortschritt der Krankheit hängt von vielen Faktoren ab. In der Übersicht oben sind die Faktoren, die z.B. inflammatorisch wirken und gehemmt werden müssen mit rot markiert. Die mit grün markierten Faktoren sollte man stärken. An diesen roten oder grünen Faktoren setzen verschiedene Medikamente an. Nintedanib (dieses setzt bei den blau markierten Faktoren an) hat jetzt bewiesen, dass es wirksam ist, um die Lungenbeteiligung zu verlangsamen. Besonders in Kombination mit Immunsuppressiva. Das ist sehr ermutigend. Aber alle Medikamente wirken auch bei den Patienten unterschiedlich gut.
- Abatacept z.B. wirkt nicht bei allen, aber manche können davon profitieren.
- Aktuelle Studien gibt es zu tocilicumab, abatacept, riociguat, Lenabasum, nintedanib und Romikimab (neu, blokiert IL-4 und IL-13).
- Studien haben gezeigt, dass man anhand der Symptome Patienten in 6 unterschiedliche Gruppen einteilen kann. Dadurch kann man gezielter vorgehen als wenn man nur z.B. limitierte vs. diffuse Form unterscheidet.
Zusammenfassung:
- Die klinische Landschaft in Bezug auf Ssc verändert sich:
- Das Überleben wird verbessert
- Renale Krise, Lungenhochdruck und Lungenfibrose sind behandelbar
- Die nicht-tödlichen Belastungen steigen: Digitale Ulzera, Beteiligung des Gastrointestinaltrakts, Kalzinosen, Fatigue…
- Es gibt immer noch einen großen Bedarf
- Schwere Verläufe von Ssc haben immer noch eine unakzeptable Sterblichkeitsrate
- Immunsuppression hat für Haut und Lungen nur moderaten Effekt
- Stammzelltransplantation ist nur für stark ausgewählte Fälle eine Option
- Wir brauchen neue Behandlungsstrategien:
- Zugelassene Therapien: Tocilizumab, nintedanib, riociguat, abatacept, rituximab
- Neue Ziele:
- PPAR, CB2 (!)
- IL4/IL13, OSM, autotaxin, LPA1 (weniger?)
- Neue Herangehensweisen:
- Epigenetik, adipocyte transfer, metabolic re-programming, regenerative medicine
- Wir können optimistisch sein und dies weiterentwickeln.
Was sollten Patienten über die Teilnahme an klinischen Studien wissen?
Nach einem Vortrag von Joep Welling, Senior Berater der FESCA, zum 6. Welt-Sklerodermie-Kongreß, übersetzt und zusammengefaßt von Mitgliedern der Scleroderma Liga e.V., 2020
Man kann auf zwei Wegen an Studien teilnehmen:
- Als „Subjekt“, welches untersucht / beobachtet wird.
- Als „Patienten Experte“, die die Forscher beraten
Man sollte immer seinen behandelnden Arzt und Familienangehörige informieren, wenn man an einer Studie teilnimmt. Die Teilnahme ist freiwillig und man kann jederzeit aussteigen. Im Vorfeld sollte man sich gründlich über die Studie informieren. Wenn man das Kleingedruckte in der Einverständniserklärung nicht versteht, Rat beim Forscher oder der Patientenorganisation holen.
Bei einer Doppelblindstudie weiß weder der Forscher noch der Patient, wer den Wirkstoff bekommt und wer nur ein Placebo (sieht aus wie das Medikament, enthält aber keinen Wirkstoff).
Wer an Studien teilnimmt, sollte folgende Risiken kennen:
- Die neue Behandlung könnte Nebenwirkungen haben.
- Es könnte sein, dass die neue Behandlung nicht wirkt oder weniger als die Standardbehandlung.
- Man könnte nicht Teil der Gruppe sein, die die neue Behandlung erhält, sondern der Kontrollgruppe zugeordnet werden, die z.B. ein Placebo erhält.
- Die Teilnahme an der Studie ist mit Aufwand verbunden, z.B. zusätzliche Arzttermine.
Die Teilnahme an Studien kann folgende Vorteile haben:
- Man bekommt eine neue Behandlung, bevor alle diese erhalten.
- Man übernimmt eine aktive Rolle in seiner Gesundheitsversorgung.
- Man profitiert von regelmäßigeren oder gründlicheren Untersuchungen.
- Man hilft evtl. anderen, später eine bessere Behandlung zu erhalten.
- Man bekommt evtl. neue Informationen, lernt dazu.
Was hält die Zukunft bereit?
Nach einem Vortrag von Prof. Alan Tyndall, Universität Basel, zum 6. Welt-Sklerodermie-Kongreß, übersetzt und zusammengefaßt von Mitgliedern der Scleroderma Liga e.V., 2020
Warum können wir optimistisch sein?
- Die Entwicklung neuer Medikamente für seltene Erkrankungen („orphan diseases“) ist zunehmend lukrativ für große Pharmafirmen. Vor allem in Biologika, wie monoklonalen Antikörpern, steckt ein großes Marktpotenzial, welches auf die selteneren Erkrankungen „überschwappt“. Unternehmen, die Medikamente für seltene Erkrankungen wie Sklerodermie entwickeln, profitieren von Erleichterungen für deren Entwicklung, Zulassung und Vermarktung seitens der European Medicines Agency (EMA) sowie der FDA in den USA. Dadurch ist es auch für eine Firma, die Profit machen will, attraktiv ein Medikament für eine kleine Zielgruppe zu entwickeln, wenn der Prozess einfach und schnell ist. In den 80er Jahren waren einige Medikamente sehr lukrativ, die z.B. Blutdruckmedikamente und Blutverdünner. Deren Patente laufen jetzt aus. Deshalb suchen die Pharmaunternehmen nach mehr und mehr Indikationen, für die Biologika und zellbasierte Therapien wichtig werden könnten. Diese Entwicklung passiert in kleineren Biotechnologie-Startups, die dann von den großen Pharmaunternehmen aufgekauft werden. Von den 10 Medikamenten, die in 2018 am meisten verkauft wurden, sind 8 monoklonale Antikörper oder ähnliches.
- Man hat entdeckt, dass es sich lohnt, die Krankheit sehr früh zu behandeln. Schon bevor die Symptome sich manifestieren und die Krankheit chronisch wird. Wenn jemand kommt, der seit einem Jahr Sklerodermie hat, ist es schon eine lange Zeit, seit der Prozess der Krankheit im Körper begonnen hat. Erkenntnisse dazu stammen aus einer Datenbank aus den USA von Blutproben junger Leute, die zwischen den beiden Golfkriegen gesammelt wurden. Hier sieht man, dass schon Jahre vor Ausbruch von Krankheiten die Autoimmunantikörper im Serum ansteigen. In den Niederlanden wird eine Studie geplant, die „hit hard and early“ genannt wird. Sie geben 30 sehr frühen SSc Patienten eine hohe Dosis Cortison an drei aufeinander folgenden Tagen über 3 Monate. Sie wollen sehen, ob dies den Verlauf der Krankheit verändert. Das Ziel ist, die Krankheit zu stoppen, bevor sie ernsthaften Schaden anrichtet oder chronisch wird.
- Es werden „Prozesse“ und nicht Krankheitsnamen behandelt. So kann ein Medikament gegen Fibrose nicht nur für die Sklerodermie sondern für Narbengewebe allgemein eingesetzt werden. Davon profitieren dann wieder Patienten mit anderen (ggf. seltenen) Krankheiten.